Morgens früh um sechs
kommt die kleine Hex.
Morgens früh um sieben
schabt sie gelbe Rüben.
Morgens früh um acht
wird Kaffee gemacht.
Morgens früh um neun
geht sie in die Scheun.
Morgens früh um zehn
holt sie Holz und Spän
feuert an um elf,
kocht dann bis um zwölf
Fröschebeine, Krebs und Fisch.
Schnell, ihr Kinder, kommt zu Tisch!
Diese Sprüchlein ist bei uns sehr beliebt und das gibt es auch schon lange. Ein Interesse für die Uhr erwacht bei Leo in den letzten Monaten. Immer öfter fragt er nach der Uhrzeit und wie lange etwas dauert. Wir haben eine Sanduhr, die eine halbe Stunde anzeigt und die läuft, wenn ich sage, etwas dauert eine halbe Stunde. Ein bisschen können die Kinder die Zeitspanne dadurch besser abschätzen.
Grundsätzlich ist es viel zu früh Leo die Uhr beizubringen. Es reicht, wenn die Kinder das in der Grundschule lernen. Aber wenn er mich fragt, will ich auch nicht auf die digitalen Uhren an diversen elektronischen Geräten verweisen, die unser Haus bevölkern.
Die Zeit ist für kleine Kinder sehr lange abstrakt und unfassbar. Matteo fragt mich z.B. beinahe bei jedem Essen, ob das jetzt Mittag- oder Abendessen ist. Ganz ehrlich muss ich dann den Impuls unterdrücken mit Unverständnis zu reagieren. So fest bin ich scheinbar in Zeitabläufen verankert, dass ich mir ein davon losgelöstes Leben gar nicht mehr vorstellen kann.
Alles was die Zeit betrifft, wird für die Kinder noch einige Jahre sehr verschwommen sein. Sie wissen z.B. dass es in Miami Mittag ist, wenn es bei uns Abend ist. Aber verstehen tun sie das nicht (manch Erwachsener tut das allerdings auch nicht). Sie wissen, dass es schrecklich lange her ist, dass die Dinosaurier gelebt haben. Trotzdem kann es aber auch gestern gewesen sein, dass sie ausgestorben sind. Wenn meine Mutter Leo Geschichten erzählt, wie das war, als ich und meine Schwestern klein waren, dann sitzt er stumm und staunend da und man hört förmlich die Gehirnwindungen rattern. Einen rechten Reim darauf kann er sich allerdings nicht machen. Wenn er nach der Uhrzeit fragt bekommt er natürlich eine Antwort, aber ich lehne es ab, ihm die Uhr beizubringen, wie einem Zirkustierchen ein Kunststück, bevor er überhaupt ein Gefühl für die Zeit entwickelt hat.
Die Zeit ist ein ein faszinierendes und machmal auch unheimliches Phänomen. Wir alle sind ihr ausgesetzt. Auch meine Kinder, trotzdem berührt sie sie noch wenig. Morgen, Gestern, Übergestern alles purzelt noch wild um das Jetzt, in dem sie leben. Ich hingegen muss mir oft Mühe geben mit ihnen im Jetzt zu sein und nicht mit meinem Kopf in Zukunft oder Vergangenheit.