Auch in anderen Bereichen gilt es, eine Balance zu finden zwischen dem was wirklich kindliches Fehlverhalten ist, dessen man sich annehmen muss, dem, was normale kindliche Entwicklung ist, und dem was wir den Kindern an Negativem vorleben.
Bei Essensproblemen der Kinder einmal nachzudenken, wie der eigene Umgang mit Essen sich darstellt, ist sicher lohnend. Wer nicht bereit ist, für vernünftig produziertes Essen entsprechendes Geld auszugeben, wer nicht bereit ist eine gesunde und wohlschmeckende Mahlzeit zuzubereiten, wer nicht bereit ist, zusammen mit den Kindern an einem gedeckten Tisch zu essen, der darf sich nicht wundern, wenn es nicht gelingt, den Kindern Genuss, Esskultur und gesunde Ernährung nahezubringen. Wer –wie ich- kaum einen Tag ohne Schokolade überlebt, der wird seine Kinder kaum zuckerfrei ernähren können. Ich kann nur versuchen vernünftige Regeln für Süßigkeiten aufzustellen, die dann auch für mich gelten.
Aber daneben gilt es auch anzuerkennen, dass nur das Kind bestimmen darf ,wie wenig es von einer angebotenen Speise isst. Kinder zum Essen zu zwingen, kommt einer Misshandlung gleich und lässt den grundlegenden Respekt, der jedem anderen Menschen geschuldet ist, vermissen. Sind Kinder gesund, verhungern sie auch nicht an einem gedeckten Tisch.
Auch im Umgang mit Aggressionen unterschätzen Erwachsene oft die eigene Gewaltbereitschaft. Aggression kommt vom Lateinischen „aggredere“ und meint Herangehen, ist also zunächst auch nichts Negatives. Wir brauchen sie um Dinge anzupacken, etwas voranzutreiben, uns auch einmal gegen andere durchzusetzen.
Problematisch wird es erst da, wo die Aggression ausufert, sich nicht mehr an einem vernünftigen Miteinander orientiert. Und das gelingt bereits dann nicht, wenn dem Kind mit einem Lächeln im Gesicht mittgeteilt wird, dass dieses oder jenes Verhalten doch bitte schön unterlassen werden soll, obwohl man hinter der lächelnden Fassade bereits vor Wut schreien könnte. Wer sich in diesem Moment für friedfertig hält, der irrt sich. Natürlich ist es wichtig im täglichen Umgang darauf zu achten, dass man nicht unbedacht Dinge von sich gibt, für die man sich im nächsten Augenblick schon wieder schämen muss. Dennoch kann man durchaus auch einmal etwas lauter und deutlicher sagen, dass man gerade total sauer ist und das Kind jetzt bitte sofort damit aufhört. (Sieht man sich in dem Moment einem Kleinkind gegenüber, müssen dieser Aussage aber meist auch Taten folgen, um das störende Verhalten zu beenden).
Wer in diesem Moment bei sich bleibt und nicht den anderen herabwürdigt, richtet selten Schaden an. Wenn Streitereien in Familien mit Kleinkindern überhand nehmen, ist das oft ein Zeichen von Überforderung. Negativen Gefühlen muss man Ausdruck verleihen dürfen, sonst schwelen sie unbemerkt dahin, bis man explodiert. Da kleine Kinder nun mal noch über weniger Ausdrucksmöglichkeiten verfügen, hauen sie. Man muss das nicht übermäßig dramatisieren. Ein Hinweis darauf, wie man es besser machen kann und die Bereitschaft, diesen Hinweis noch hunderte Mal zu erteilen, kann hier Abhilfe schaffen. Zuvor kümmert man sich allerdings erst mal um das Opfer. Auch das allerdings ohne viel Tamtam. Denn auch die vermeintlich Schwächeren lernen schnell, eine solche Position zu Ihrem Vorteil auszunutzen.
Zu bedenken gilt auch, dass Kinder, vor allem Jungs, ein weit größeres Bewegungsbedürfnis haben, als wir. Haben sie genug Auslauf, verringert sich oftmals auch das destruktive Verhalten, das sie an den Tag legen.
Im übrigen wird das, was ich als Frau im Umgang mit meinen Söhnen als grobe Rangelei einordne von meinem Mann als völlig zulässiges Kräftemessen und Toben eingestuft, das man gelegentlich in Bahnen lenkt, aber nicht unterbindet. Was ich also schon als Fehlverhalten empfinde, muss ein anderer noch lange nicht so einschätzen. Es gilt hier den eigenen Rahmen immer wieder zu überprüfen.
Bei einer solchen Überprüfung stellt man auch manchmal fest, dass einen Dinge an den Kindern unglaublich nerven, die andere z. B. den Partner kaum stören. Oft ist diese Diskrepanz ein Hinweis darauf, dass die Kinder ein Verhalten an den Tag legen, das man selber –wenn vielleicht auch an anderer Stelle- auch zeigt. Sich einzugestehen, dass man mit dem Verhalten eines Kindes gerade deshalb ein Problem hat, weil man es von sich selber kennt und ablehnt, kann oft einen versöhnlichen Blick auf die Situation eröffnen.
Nur eins sollte man sicher nie machen, nämlich diese Schlüsse auf andere Eltern und ihre Kinder übertragen. Diese überhebliche Haltung nehmen wir alle einmal ein. Jeder hat diese kleinmütigen und überheblichen Regungen in sich. Wir sind einfach manchmal erleichtert, wenn wir uns denken können, na so schlimm sind meine Kinder aber nicht. Man hat plötzlich das Gefühl, dass sich die eigenen Bemühungen doch lohnen, ein Umstand über den man sich ja im Alltag nicht immer so sicher ist. Wir alle haben manchmal die Momente mageren Selbstbewusstseins, in denen wir uns erheben über andere und ihre Bemühungen, das Beste für ihre Kinder zu tun. Nicht jeder hält das gleiche für das Beste und nicht jeder vermag das selbe für seine Kinder zu tun. Was uns eint, ist das Beste zu wollen und uns darum zu bemühen. Wer nicht erkennen kann, dass dieses sich besser Vorkommen Zeichen der eigenen Unzulänglichkeiten ist, der sollte noch mal scharf nachdenken. Wer bei sich bleibt, erkennt, dass er die Aufgabe Kinder zu erziehen so gut erfüllt, wie er nur kann, dass dabei aber Fehler geschehen. Solange diese nicht zu weitreichend sind, verzeihen uns unsere Kinder diese und wir sollten das auch tun….und uns weiter bemühen.